Doku: Pandemie trifft Klassengesellschaft – 23.03.2023 Köln 01/04/2023

Inzwischen sind nach offiziellen Angaben fast 170.000 Menschen in Deutschland (Stand 25. Februar 2023) an der Covid-19-Pandemie gestorben. Trotz einer breiteren Bevölkerungsimmunität und trotz verbesserten Behandlungsmethoden sind auch seit Beginn des Jahres 2023 täglich zwischen 70 und 300 Menschen in Deutschland an den Folgen einer Covid-19-Infektion gestorben. Zudem wird von mindestens einer Millionen Long-Covid-Betroffenen ausgegangen.

Aber die Pandemie ist vorbei und Deutschland wäre gut aus der Krise rausgekommen, so lautet die breit zu vernehmende Botschaft. Seit die Kapazitäten der Intensivmedizin zum entscheidenden Kriterium erklärt und die Inzidenz abgewertet wurde, gilt das Sterben in geordneten Bahnen als Maßstab für erfolgreiches politisches Handeln. In öffentlichen Diskussionen scheint inzwischen sogar zuweilen das Resümee gezogen zu werden, man habe zu panisch und zu rigoros mit Schutzmaßnahmen agiert. Die Position, sich nicht mit 170.000 Toten als Kollateralschaden fürs Weiterlaufen des Betriebs abfinden zu wollen, wird hingegen nirgendwo mehr vertreten.

Es steht weiterhin zu befürchten, dass der inhumane Umgang mit den Covid-19-Opfern als Schablone für kommende Katastrophen dienen könnte. Womöglich wurde im Zuge der Covid-19-Pandemie gesellschaftlich verinnerlicht, dass in den kommenden Pandemien und Krisen alles gut laufe, solange die Zahl der Toten im internationalen Vergleich nicht heraussteche und die kritische Infrastruktur nicht zusammenbreche.

Die Corona-Pandemie ist keine Naturkatastrophe, sondern menschengemacht, weil die Wahrscheinlichkeit des Überspringens von gefährlichen Viren auf Menschen mit der Abholzung von Wäldern, massenhaftem Wildtierhandel und Massentierhaltung zusammenhängt. Das Virus trifft auch nicht alle gleichermaßen, sondern die ärmeren Teile der Bevölkerung überdurchschnittlich. Sie infizieren sich häufiger und sterben öfter. Pandemie trifft Klassengesellschaft.

Wie die Pandemie staatlicherseits gehandhabt wird und wurde, was emanzipatorische Kräfte tun müssten und warum die Rückkehr zum Normalzustand auch in endemischen Zeiten keine Perspektive sein kann, darüber wollen wir mit Thomas Ebermann und Nadja Rakowitz an diesem Abend diskutieren.

Es referieren und diskutieren: Nadja Rakowitz, Medizinsoziologin, Geschäftsführerin des Vereins demokratischer Ärzt*innen (vdää*) und im Bündnis Krankenhaus statt Fabrik und Thomas Ebermann, Kabarettist und Publizist.

Veranstaltende: Gruppe Polaris und der AStA der Universität zu Köln.

Diskussionsrunde im Anschluss an die Inputs von Nadja und Thomas.

Take Care! Politiken radikaler Sorge und die Möglichkeiten einer Biopolitik von unten – Radioessay #2 zu Ausnahmezustand, Biopolitik und die Corona-Krise 05/04/2020

von Mr Pinguin, Sippurim und sonja

Wie kann eine Kritik des autoritären Liberalismus aussehen? Wie können wir den Techniken der Individualisierung, Entpolitisierung und Entsolidarisierung entkommen, die lange schon den Spätkapitalismus prägen und in der Corona-Krise manche Leben prekärer machen als andere? Was kann der »Biopolitik von oben« entgegensetzt werden, die wir im ersten Teil dieses Podcasts diskutiert haben?
Ausgehend von einer Analyse der Geschichte neoliberaler Selbstführung und ihren verschärften Effekten unter den Bedingungen der Corona-Pandemie und ihrer Regierungstechniken, fragt dieser Beitrag nach einer anderen Biopolitik, einer »Biopolitik von unten«. Seit der zweiten Frauenbewegung und der Schwarzen Bürger*inrechtsbewegung sind Widerstandsmomente gegen liberale Gesundheitspolitiken tradiert, die Ansätze einer radikalen Politik der Sorge entwerfen, wie sie etwa schon in den sozialen Kämpfen während der AIDS-Epidemie mobilisiert worden sind. Queere, feministische und rassismuskritische Bewegungs- wie Theoriearchive bilden neue Politiken der Subjektivierung und der Solidarisierung, die von der Verflochtenheit spätkapitalistischer Leben in rassistische, heteronormative und sexistische Machtverhältnisse ausgehen.

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Knast & Corona 23/03/2020

In Europa sitzen rund 1,6 Millionen Menschen im Gefängnis. Auch vor ihnen macht die Ausbreitung von Covid-19 nicht halt. Doch sie werden, wie viele andere marginalisierte Gruppen, vergessen und zugleich besonders hart von den Maßnahmen zur Eindämmung des Virus getroffen. Der Bericht gibt einen Überblick über die Situation in den Gefängnissen und stellt Forderungen dar, die Belegung der Gefängnisse zu reduzieren, die Grundrechte der Gefangenen zu wahren und die Gesundheitsversorgung zu gewährleisten.